BLC-Sports 07-2001: Der wahre König der Tour de France

Klaus Angermann ist der einzige deutsche Radsportreporter mit Kult-Qualitäten.
Eine Würdigung von Elke Wittich

Nein, vom Rennradfahren halte er in seiner Freizeit überhaupt nichts, bekannte der Eurosport-Kommentator Klaus Angermann kürzlich während des Giro d’Italia. Er setze sich lieber auf sein Mountainbike und fahre hinaus in die Natur. „Dort genieße ich eine schöne Schafsherde oder schnuppere im Wald an einem Pilz. Dann ist bei mir der Teufel los.“

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Klaus Angermann (links) bildet zusammen mit Tony Rominger ein Super-Duo.Für viele TV-Zuschauer ist Angermann der wahre König der Tour de France.

Für Angermann-Fans sind solche Sätze, so unverständlich sie Außenstehenden vielleicht auch vorkommen mögen, der einzige Grund, internationale Radsportereignisse auf dem Spartensender zu verfolgen. Denn während die Öffentlich-Rechtlichen während des Giro und der Tour de France neben der Kommentierung der Geschehnisse Volksbildung als ihre Hauptaufgabe ansehen und das Publikum mit ihrem Baedecker-Wissen über Kirchen, Ruinen und Agrikultur langweilen, gibt es auf Eurosport seit 1988 Informationen plus freies Assoziieren mit Angermann.

Das heißt, es geht um wunderschöne Sätze. Was jeder beliebige Reporter einfach nur als Ruhetag ankündigen würde, gerät Klaus Angermann zu einer ebenso kurzen wie prägnanten Beschreibung:
„Morgen ist der Tag des Waschens.“ Auch den möglicherweise falschen Eindrücken seines Publikums schon im Ansatz entgegenzuwirken, ist für den Radsportreporter sehr wichtig: „Das ist nicht etwa ein Geschwür bei Belohvosciks – er bringt den Helm nach vorn.“

Seit 1965 ist Klaus Angermann nun in jedem Jahr bei der Tour de France dabei, zunächst für das ZDF, nun für Eurosport, und dass er mit ihr alt geworden ist, merkt der mittlerweile 62jährige sehr wohl. Manchmal entladen sich die Probleme des Alterns dann in einem Stoßseufzer, wie damals, als er bei einer Siegerehrung bemerkte: „Die Jungfrauen der Ehre werden auch immer jünger.“

Nicht jeder kann solche Sätze offenbar gebührend schätzen. Ein „infernales Duo der TV-Kommentierung“ bildeten Klaus Angermann und sein Kompagnon, der ehemalige Radprofi Tony Rominger, bemerkte einmal die Sonntagszeitung in einem ziemlich kläglichen Versuch, süffisant
zu sein. Dabei füllen die beiden ihre Sendezeit hauptsächlich mit Hintergrundinformationen, und eben mit Anekdoten.

Angermanns Geschichten rund um die Radsportklassiker haben gegenüber den öffentlich-rechtlichen Erzählungen den unschätzbaren Vorteil, dass er sie fast alle selbst erlebt hat. Und die Großen der Sportart kennt er fast alle noch persönlich.

So kann sich Angermann sehr ausführlich darüber freuen, wenn er den ehemaligen norwegischen Star Dag Lauritzen in der benachbarten Kommentatorenkabine entdeckt, und manchmal überlässt er in solchen Fällen durchaus Rominger für eine Weile das Mikro, um den alten Freund herüberzuholen. Ob der will oder nicht.

Aber meistens wollen sie wohl, denn Angermann ist ein sehr freundlicher und höflicher Mensch, der niemandem etwas Böses will. Und der sogar, wenn er im Überschwang Tony Rominger einmal unterbricht, dies seinem Publikum sogleich erklärt: „Es ist das Temperament, dass wir uns ins Wort fallen; wir sind nicht unhöflich.“

Vor zwei Jahren schenkte ihm Bernard Hinault während der Tour sogar ein Rennrad, „für meinen deutschen Freund Klaus“, las Angermann gerührt vor. Wenn er jedoch eines nicht leiden kann, dann sind das Sportler, die sich nicht restlos verausgaben. Denn er gibt schließlich auch jeden Tag sein Bestes. „Du sprichst von vier Führenden, doch der eine betreibt Sabotage“, kann er sich z.B. über solche Radler ärgern, die sich von den anderen nur mitziehen lassen und selbst nichts zur Führungsarbeit beitragen.

Mindestens genauso verabscheut Angermann das Doping, genauer gesagt: Dopinggerüchte. Am liebsten würde er sie gar nicht erwähnen, aber er kennt seine Chronistenpflicht und beginnt meistens doch zu erzählen, sehr, sehr vorsichtig und immer mit dem Hinweis, dass auch für
Sportler die Unschuldsvermutung gelte. „Ich bin auch einer vielleicht der letzten Unverbesserlichen, die da noch an eine gewisse Ehrlichkeit im Sport, nicht nur im Radsport glauben.“

Angermann glaubt auch ganz fest daran, dass alle Nationen gut miteinander leben könnten, wenn sie sich nur ein kleines bisschen Mühe gäben. „Ich bekomme gerade eine Flasche Wasser hereingereicht, von meinem französischen Kollegen. Ja, das ist Völkerfreundschaft, so
funktioniert sie!“ kann er sich selbst über kleine Gesten freuen. Oder darüber, dass im Hotel de Gare, „seit dreißig Jahren unser kleines bescheidenes, aber doch so familiäres Zuhause“, von Anfang an internationaler Betrieb herrschte: „Da sahen wir viele, viele Zuschauer aus aller Herren Länder, es fehlten nur die Eskimos, eigentlich.“

Im Radsport „spielen jedoch so viele Rollen einen Faktor, dass es fast manchmal unmöglich ist, zu sagen, was wirklich geschieht“, und das kann sogar den ausgesprochenen Fachmann hin und wieder verwirren. „Aber ich glaube Armstrong ist alleine, Tony?“ „Nein, er hat unmittelbar vor sich entweder Livingston oder Hamilton.“ „Dann hab ich ’ne leichte Farbstörung, aber das kann natürlich passieren nach fünf Stunden Live-Übertragung.“

Angermann steht schließlich zu seinen Fehlern, und kann gut damit leben, wenn er hin und wieder mal verbessert wird: „Und Udo Bölts, der deutsche Meister kommt ins Ziel.“ Rominger: „Nein, das ist Dierckxsens!“ Angermann: „Ach, der belgische Meister, die Farben sind nur verkehrt herum.“

Und wo es so viele Namen und so viele Gesichter zu behalten gilt, da kann man sich nicht immer auch noch alle Fakten merken. Meistens gelingt es in solchen Fällen Tony Rominger, noch rechtzeitig einzugreifen. Wie vor zwei Jahren während der Tour de France: Guerini überquerte als Erster die Ziellinie, was Angermann den Aufschrei entlockte: „Und nun gewinnt schon wieder ein Holländer!“ „Aber Klaus, Guerini ist doch Italiener …“ wandte der Co-Kommentator ein, Angermann antwortete, nach einer längeren Pause: „Danke, Tony, dass du mich gestoppt hast.“

Manchmal jedoch kann selbst „der Tony“ nichts mehr ausrichten. Dann scheint Angermann so geistesabwesend, so außer sich zu sein, dass nichts mehr zu ihm durchdringt. „Ach Tony, du meinst, dass Once seine Führungsposition beibehalten will im Mannschaftsklassement?“ sagt er dann zum Beispiel.

Romingers Antwort ist ebenso kurz wie präzise: „Nein, Banesto führt.“ Nur wenig später hat Klaus Angermann diese Information offensichtlich schon wieder vergessen, er teilt den staunenden Zuschauern plötzlich aufgeregt mit: „Die Mannschaft Once macht im Feld das Tempo, um ihre Führungsposition im Mannschaftsklassement beizubehalten.“

In seiner gelegentlich auftretenden Bockigkeit gegenüber Tatsachen wird Angermann nur noch vom ehemaligen Radprofi Rudi Altig übertroffen, der in seinen gelegentlichen Live-Kommentaren selbst dann noch Recht zu haben versucht, wenn alle Fakten gegen ihn sprechen: „Cipollini geht nach vorne, will er etwa heute schon wieder gewinnen?“ Ein Kollege antwortet: „Aber Rudi, er hat doch gestern gar nicht gewonnen!“ Altig, sehr trotzig: „Naja, aber er hat’s versucht, oder?“

Im Gegensatz zu Altig und den meisten seiner Kollegen, die sich ausschließlich für eine einzige Sportart interessieren, ist Angermann aber kein Fachidiot. Seine besondere Liebe gilt, so hat er selbst einmal gesagt, „allen Disziplinen, die mit einem ‚R‘ anfangen“. Neben Radfahren sind das im Großen und Ganzen noch Rudern und Ringen.

Manche Fans allerdings schwärmen noch heute von den selbstgestrickten roten Ohrwärmern und Fausthandschuhen, die Angermann bei jedem Siegerinterview mit dem Rodler Georg „Schorsch“ Hackl trug. Und natürlich von Sätzen wie diesem: „Dritter ist er auf jeden Fall. Nein, das kann ich nicht sagen, das kann ich nicht sagen.“

Er wird es aber weiter sagen können, seine Fans, die mittlerweile Angermanns Namen neben denen der Radsportstars auf den Straßen der Tour de France verewigen, dürfen sich auf weitere vergnügliche Jahre mit ihrem Idol freuen. Eurosport hat sich zumindest die Rechte an der Tour bis zum Jahr 2004 gesichert. Und die ist ohne Klaus Angermann einfach nicht vorstellbar.

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